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Gute Unterhaltung, schlechte Unterhaltung Die Fernsehkritik und das Populäre
Gute Unterhaltung, schlechte Unterhaltung
Die Fernsehkritik und das Populäre




Kerstin Goldbeck

Transcript
EAN: 9783899422337 (ISBN: 3-89942-233-3)
362 Seiten, paperback, 14 x 23cm, 2004

EUR 26,80
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Populäres hat in der Kulturkritik traditionell einen schlechten Ruf. In den letzten Jahren scheint sich nicht zuletzt durch die große Resonanz der Cultural Studies eine veränderte Position abzuzeichnen. Doch: Wie sieht es in der Medienkritik hierzulande aus? Die Studie zeigt, wie populäre TV-Formate und ihr Publikum dort nach wie vor abgewertet werden/Frappierend wird deutlich, wie wenig man in Kritiken der Süddeutschen Zeitung und der FAZ das Publikum von Erfolgsformaten wie »Gute Zeiten/Schlechte Zeiten« und »Wer wird Hillionär« überhaupt zur Kenntnis nimmt und wie weit die Maßstäbe der Kritik und die Kriterien der Cultural Studies nicht nur in diesem Punkt auseinander klaffen. Neben einem Einblick in die Diskurse der Fernsehkritik liefert die Arbeit einen ausführlichen Einstieg in John Fiskes Theorie zur Populärkultur.
Rezension
Anders als noch zu Adornos Zeiten scheint das Populäre in der Postmoderne wertgeschätzt zu werden und die "Cultural Studies", - in einer gleichnamigen Reihe erscheint dieser Band -, tragen ihren Teil dazu bei. Allein, - und so konstatiert der hier anzuzeigende Band zur Fernsehunterhaltung - , noch immer unterliegt das Populäre dem Generalverdacht des Minderwertigen. Das belegt diese Studie am Beispiel der Fernsehunterhaltung und der Fernsehkritik, wie die Autorin sie hier am Beispiel der Fernsehkritiken der großen Tageszeitungen "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Süddeutsche Zeitung" hinsichtlich der populären Fernsehunterhaltungsformate "Wer wird Millionär?" und "Gute Zeiten - schlechte Zeiten" aufweist.

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Verlagsinfo
Populäres hat in der Kulturkritik traditionell einen schlechten Ruf. In den letzten Jahren scheint sich nicht zuletzt durch die große Resonanz der Cultural Studies eine veränderte Position abzuzeichnen. Doch: Wie sieht es in der Medienkritik hierzulande aus? Die Studie zeigt, wie populäre TV-Formate und ihr Publikum dort nach wie vor abgewertet werden. Frappierend wird deutlich, wie wenig man in Kritiken der Süddeutschen Zeitung und der FAZ das Publikum von Erfolgsformaten wie Gute Zeiten/Schlechte Zeiten und Wer wird Millionär überhaupt zur Kenntnis nimmt und wie weit die Maßstäbe der Kritik und die Kriterien der Cultural Studies nicht nur in diesem Punkt auseinander klaffen. Neben einem Einblick in die Diskurse der Fernsehkritik liefert die Arbeit einen ausführlichen Einstieg in John Fiskes Theorie zur Populärkultur.

Kerstin Goldbeck (Dr. disc. pol.) hat an der Universität Göttingen promoviert. Derzeit arbeitet sie als Referentin für Medienwissenschaft beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger.

"Kerstin Goldbecks Fragestellung lautet [...]: Zeigen sich in der Fernsehkritik der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Kriterien der Cultural Studies für die Betrachtung populärer Texte, die eine Aufwertung von Populärkultur belegen könnten? Um diese Frage zu beantworten, zeigt der theoretische Teil der Arbeit den Blick der Cultural Studies auf Populäres auf. Im empirischen Teil analysiert und bewertet die Autorin in ihrer qualitativen Untersuchung insgesamt 82 Kritiken beider Zeitungen zu den Sendungen 'Wer wird Millionär' und 'Gute Zeiten, schlechte Zeiten'. [...] Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Diskurs der Cultural Studies über Populärkultur nicht in der Fernsehkritik niedergeschlagen hat, dass diese somit gegen neuere Erkenntnisse und Diskussionen in der Medien- und Kommunkationswissenschaft resistent ist."
(medien + erziehung, zeitschrift für medienpädagogik, Februar 2005, S. 89)

"Die Medienwissenschaftlerin Dr. Kerstin Goldbeck untersucht anhand der TV-Formate Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Wer wird Millionär?, ob sich der Diskurs der Cultural Studies mit seiner Aufwertung des populären Vergnügens an TV-Sendungen, in der Fernsehkritik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Süddeutschen Zeitung wiederfindet. [...] Kerstin Goldbeck kommt im Resümee ihrer aufschlussreichen und fundierten Studie Gute Unterhaltung, schlechte Unterhaltung zu dem Schluss: "Kritisch die Entwicklungen im Rundfunkbereich zu begleiten, ist wichtig, um die Verflechtungen von Konzernen im Rundfunkbereich transparenter zu machen, um zu zeigen, wo die Interessen der Rezipierenden an vielfältigen Inhalten möglicherweise in Gefahr geraten. Fernsehkritik ist auch notwendig, um die Qualität von kulturellen Angeboten zu bewerten und Negativtendenzen argumentativ entgegenzuwirken. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht für die Kritik der bürgerlich orientierten Feuilletons an der Zeit wäre, die Zuschauer und Zuschauerinnen besser kennen zu lernen."
(Stefan Otto auf: http://www.kino-zeit.de/buecher/artikel/2576_gute-unterhaltung-schlechte-unterhaltung-die-fernsehkritik-und-das-populare.html)

"So bleibt das Fazit der Studie, dass die Feuilletons von SZ und FAZ klassisch kulturpessimistisch argumentieren und Günter Jauch deutlich besser als quasi öffentlich-rechtlich davon kommt. Dies diskursanalytisch zu belegen und Cultural Studies im Deutschsprachigen zu praktizieren, ist das Interssante an dieser Arbeit für Fernsehtheoretiker."
(De:Bug Nr. 88, Dez. 2004)

"Kerstin Goldbeck geht [...] der Frage nach, ob sich in der Fernsehkritik Erkenntnisse aus den Cultural Studies in Bezug auf die kontext-abhängige, aktive und bedürfnisorientierte Mediennutzung des Publikums niedergeschlagen haben. [...] Die Publikation [...] basiert auf einer Dissertation [...]. Das erklärt die relativ häufigen Redundanzen. Dennoch möchte ich den Band als Lehrbuch und Modell für Diskursanalysen empfehlen."
Louis Bosshart, Publizistik, Heft 2, Juni 2006

Inhaltsverzeichnis
Lothar Mikos: Vorwort (10)

Einleitung (13)

Teil 1: Eine positive Perspektive: Cultural Studies und Populärkultur

1. Kurze theoretische Skizzierung der Cultural Studies (25)
1.1 Schwer zu fassen: das Projekt der Cultural Studies (25)
1.2 'Kultur' in den Cultural Studies (28)
1.3 Kulturanalysen in den Cultural Studies (32)
1.4 Cultural Studies und Populärkultur (36)
1.5 Cultural Studies und populärkulturelle Texte: Zentrale Studien (46)
1.6 Zur deutschsprachigen Rezeption der Cultural Studies (58)

Teil 2: Fiske und 'populäre Texte'

1. Die Offenheit populärer Texte (65)
1.1 Verortung Fiskes in den Cultural Studies (65)
1.2 Ecos früher Blick auf Populäres (69)
1.3 Fiskes 'populäre Texte' und ihre Eigenheiten (73)

2. Grenzen der Bedeutungsfreiheit: Lesarten (85)
2.1 Bedeutungsreservoirs: Konnotation und Denotation bei Barthes (86)
2.2 Bedeutungsproduktion und Lesarten in Halls Encoding/Decoding-Modell (90)
2.3 Fiskes Lesarten: Bedeutungsfreiraum versus Ideologie (100)
2.4 Die Revisionismusdebatte (118)

3. Anbindung populärer Fernsehtexte an Diskurse (129)
3.1 Fiskes Diskursbegriff (130)
3.2 Fiskes Diskursanalyse(n) (134)
3.3 Was charakterisiert Fiskes Blick auf Populäres? (144)

Teil 3: "Wer wird Millionär?" und "GZSZ" im Diskurs der Fernsehkritik

1. Inhaltliche Rahmung: Fernsehkritik, Soaps und Quizshows (151)
1.1 Zur Fernsehkritik (152)
1.2 Soaps und Quizsendungen in Deutschland (157)

2. Methode (176)
2.1 Begrifflichkeiten (176)
2.2 SZ, FAZ und die diskursive Zirkulation von Bedeutungen (178)
2.3 Das ausgewählte Analysematerial (180)
2.4 Methodisches Vorgehen (181)

3. Der Diskursstrang "GZSZ" in der Fernsehkritik (186)
3.1 Inhaltliche Schwerpunkte in der Bewertung von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (186)
3.2 Erster Fokus: Die Produktion (188)
3.3 Zweiter Fokus: Die Darstellerinnen und Darsteller (200)
3.4 Dritter Fokus: Die Handlung (207)
3.5 Vierter Fokus: Die ZuschauerInnen (219)
3.6 Zusammenfassung des Diskursstrangs zu "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (230)
3.7 Cultural Studies oder 'Kulturindustrie'? Zwei Blickwinkel auf "GZSZ" (234)
3.8 "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" und Diskurse zum dualen Rundfunk (245)

4. Der Diskursstrang "Wer wird Millionär?" in der Fernsehkritik (250)
4.1 Zentrale inhaltliche Schwerpunkte (250)
4.2 Erster Fokus: Das Konzept von "Wer wird Millionär?" (252)
4.3 Zweiter Fokus: Die Produzenten (268)
4.4 Dritter Fokus: Der Moderator Günther Jauch (273)
4.5 Vierter Fokus: Die KandidatInnen (290)
4.6 Fünfter Fokus: Die ZuschauerInnen (299)
4.7 Zusammenfassung zum Diskursstrang "Wer wird Millionär?" (304)
4.8 Cultural Studies oder Kulturindustrie? (310)
4.9 Diskurse zur Situation des Rundfunks (317)

Resümee (327)

Literatur (337)


Leseprobe:

Einleitung
Unterhaltung zwischen intellektuellem Lob und Tadel
In der Freizeit überaus beliebt und dennoch häufig abgewertet – der
Umgang mit populärer Unterhaltung ist paradox: Insbesondere Intellektuelle
haben von jeher ihre Schwierigkeiten mit dem, was massenhaft
unterhält. An Umberto Ecos ›Apokalyptiker und Integrierte‹ (1994a) lässt
sich dies ablesen. Beide Begriffe verdeutlichen, wie Intellektuelle in den
sechziger Jahren auf Populäres reagierten: Entweder lehnten sie es ›apokalyptisch‹
ab, oder sie waren von Superman-Comics, den Peanuts oder
James Bond distanzlos begeistert, was Ecos ›Integrierte‹ charakterisiert.
Eco selbst verortete sich ›zwischen den Stühlen‹: als Fan populärer Kultur,
der jedoch den genauen, analytischen Blick nicht scheue. Massenkultur
wird besonders häufig gegenüber so genannten hochkulturellen Angeboten
abgewertet. Auch Umberto Eco hielt damals an einer hierarchischen
Aufwertung von ›Hochkultur‹ gegenüber populären Genres fest. Sein
Beitrag, vor allem sein Werk »Opera aperta« (1962), markieren dennoch
wichtige Schritte in der Theorie zur Unterhaltung, da sie das spezifische
Vergnügen an populärkulturellen Angeboten betonen und traditionellen
ästhetischen Kriterien, wie der Geschlossenheit des Kunstwerks, entgegenlaufen.
In den sechziger Jahren, als sich Eco zur Populärkultur äußerte, deutete
sich ein Wandel in der Bewertung von Unterhaltung an. Sehr plakativ
wurde populärkulturelle Unterhaltung über die ›Pop-Art‹ in den Kreis der
traditionellen Hochkultur gehoben – bei diesem Stichwort lächelt uns
sofort Warhols Marilyn Monroe entgegen, und wir denken an die Comicmädchen
von Roy Lichtenstein. Doch hoben sich damit die – konstruierten,
aber nicht minder bedeutsamen – Grenzen zwischen Hoch- und
Populärkultur auf? Und wandelte sich damit tatsächlich die Bewertung
massenkultureller Vergnügen? Der Kulturwissenschaftler und Soziologe
Kaspar Maase (1997) beschreibt anschaulich den Aufstieg der Massenkultur
und ihren Siegeszug, der in den sechziger Jahren abgeschlossen
worden sei. Eine gesellschaftliche Minderbewertung existiert seiner Ansicht
nach nicht mehr.
14 | Einleitung
Es finden sich allerdings immer noch etliche Beispiele dafür, dass
auch heute noch die Bewertung von Unterhaltung entlang der Pole Hochund
Populärkultur sehr lebendig ist: So wurde in einem Seminar zum
Thema Unterhaltung ein kurzer Fragebogen ausgegeben, dessen Ergebnisse
ein deutliches Bild zeichnen.1 Die SeminarteilnehmerInnen hatten
einerseits ihre liebsten Unterhaltungsgewohnheiten anzugeben und sollten
andererseits benennen, was für sie gute und was schlechte Unterhaltung
sei. Das Resultat hätte deutlicher nicht ausfallen können. Die Mehrzahl
der Befragten gab an, dass sie sich mit Vorliebe von Soaps, Sitcoms
oder Quizshows unterhalten ließen – sie sprachen sich also eindeutig für
populäre Unterhaltung aus, was eine Aufwertung andeuten könnte. Die
Antworten auf die Frage nach der Bewertung von Unterhaltungsangeboten
widerlegen diesen Eindruck jedoch: Als gute Unterhaltung galten
Theater, klassische Musik, sogar die Nachrichten. Schlechte Unterhaltung
seien dagegen populärkulturelle Angebote, allen voran die Fernsehgenres
Daily Talkshows, Soap Operas und auch Sitcoms. Wenngleich populäre
Angebote im alltäglichen Handeln einen festen Platz haben, so verlaufen
in den Köpfen die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur noch
immer glasklar, und die Abwertung von Populärem scheint nach wie vor
zu bestehen. Maases Einschätzung erscheint hiernach nicht ganz zutreffend.
Es stellt sich die Frage, womit die Skepsis gegenüber populärer
Unterhaltung zu begründen ist.
Ein markantes Zeugnis pessimistischer Haltung gegenüber Populärem
ist das ›Kulturindustrie-Kapitel‹, das von Horkheimer und Adorno
1944 als Typoskript im Exil veröffentlicht wurde.2 Nicht umsonst lieferten
die beiden Verfasser die Vorbilder für Ecos ›Apokalyptiker‹. Bereits
der Titel »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug« spiegelt die
rundweg skeptische Einschätzung von massenkulturellem Amüsement
wider. Schlager, Radiosoaps oder Donald-Duck-Trickfilme hämmerten
dem Publikum eine totalitäre Ideologie ein. Den RezipientInnen würde
über populäre Vergnügen die unkritische Akzeptanz von Herrschaft
vermittelt. Hier zeigt sich nebenbei ein fragwürdiges Bild der Rezipierenden:
passive KonsumentInnen, die unkritisch ganz im Sinne des Stimulus-
Response-Modells einseitig Inhalte aufnehmen (vgl. Pürer 1990:
1 | Der Fragebogen wurde im Rahmen eines Seminars verteilt, das im SS
2000 an der Universität Göttingen veranstaltet wurde. Thema des Seminars waren
die »Medien und der Wandel des Unterhaltungsbegriffs«. Die Befragung sollte
einen Einblick in die Unterhaltungspraxis der teilnehmenden Studierenden geben,
sie sollte nicht repräsentativ sein. Insgesamt wurden achtzehn Fragebögen ausgegeben.
2 | Zunächst wurden Horkheimers und Adornos Ausführungen unter dem
Titel ›Philosophische Fragmente‹ publiziert, ab 1947 erschienen sie in Amsterdam
beim Exilverlag Querido unter dem Obertitel ›Dialektik der Aufklärung‹. Die Entstehung
des Kapitels im Rahmen des Dialektik-Projektes wird bei Wiggershaus anschaulich
dargestellt (vgl. Wiggershaus 1997: 202 f.; hier: 363).
Einleitung | 15
94/95). Die Kulturindustrie stützt und verkörpert für Adorno und Horkheimer
damit die totalitären Machthaber des Dritten Reichs. Tatsächlich
stellte Unterhaltung für Goebbels ein Propagandamittel dar, um das deutsche
Publikum ›zum Durchhalten‹ zu bewegen. Auch der gezielte Einsatz
des ›Volksempfängers‹ macht Adornos und Horkheimers skeptische
Haltung in ihrem zeitlichen Kontext nachvollziehbar. Dazu kam die
schockartige Begegnung der exilierten europäischen Intellektuellen mit
der expandierenden amerikanischen Massenkultur ihrer Zeit (vgl. Hertel
1993).
Die abschätzige Einstellung des bürgerlichen, gebildeten Intellektuellen
und die Vorstellung, populäre Unterhaltung manipuliere die Rezipientinnen
und Rezipienten, ist jedoch auch heute noch aktuell. Um nur ein
Beispiel zu nennen: Helmut Schmidt erklärte in einem Interview mit dem
Tagesspiegel, »das Gefährlichste an den Medien« sei die Verbreitung von
»Trivialkultur«.3 Welches sind die Gefahren, die triviale Vergnügen
bereithalten? Gefährlich können Inhalte nur sein, wenn sie auf ein Publikum
treffen, das ihnen nichts entgegenzusetzen hat, das sich ›einlullen‹
lässt von Banalität und sich selbst dem Trivialen angleicht. Hier scheint
ein ähnliches Publikumsbild vorzuliegen wie bei Horkheimer und Adorno.
Wie sieht es in der Wissenschaft aus, wie wird dort Unterhaltung
bewertet? Gilt hier Maases These von der Aufwertung massenkultureller
Vergnügen? Da Unterhaltung als Gegenstand nicht auf ein Fach beschränkt
ist, ergibt sich von selbst eine interdisziplinäre Perspektive. Trotz
der Beliebtheit, die so genannte ›Trivialliteratur‹ bei LeserInnen genießt,
hat es lange gedauert, bis populärkulturelle Lektüre ins literaturwissenschaftliche
Blickfeld rückte. Zuvor wurde »minderwertige Literatur« ausgespart,
worunter einerseits Trivialliteratur wie Groschenhefte, aber auch
Roman-Bestseller fielen (vgl. Foltin 1976: 243). Wie auch in der bildenden
Kunst waren es die sechziger Jahre, die (Ab-)Wertungen ins Wanken
brachten – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Es entstanden zunächst
hauptsächlich Arbeiten zu Groschenheften wie Liebesromanen
oder auch Wildwestgeschichten. Erste postmoderne Stimmen, die forderten,
die Distanz zwischen Unterhaltungs- und ›ernster‹ Literatur zu
überwinden, wurden jedoch von der deutschen Literaturwissenschaft
weitgehend überhört und erst in den achtziger Jahren wieder aufgenommen,
als man sich vermehrt ›anspruchsvollen Bestsellern‹ zuwandte, wie
3 | Außerdem heißt es: »Medien hätten die ungeschriebene Aufgabe,
Schweinereien aufzudecken, aber sie haben nicht die Aufgabe für Schweinereien
Reklame zu machen« (zit. nach Leyendecker 2001). Dort wird auch Ulrich Deppendorf
mit folgenden Worten zitiert: »Im Overkill und in der Boulevardisierung stecken
Gefahren«.
16 | Einleitung
beispielsweise dem »Parfum« von Patrick Süskind.4 Eine Aufwertung
von massenkultureller Literatur deutet sich hier zumindest an.
Auch in der Medien- und Kommunikationswissenschaft hat die Auseinandersetzung
mit Populärkultur in den letzten zwei Jahrzehnten stetig
zugenommen. Obwohl die Beschäftigung mit Populärem längst nicht den
gleichen Stellenwert im Fach hat wie die Arbeit auf klassischen kommunikationswissenschaftlichen
Feldern, kann eine Öffnung gegenüber der
Unterhaltung beobachtet werden. Dies wurde nicht zuletzt an der Tagung
der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft
(DGPuK) ersichtlich, die sich Anfang der neunziger Jahre mit
Unterhaltung befasste (vgl. Bosshart/Hoffmann-Riem 1993). Ebenfalls
steht die DGPuK-Tagung 2001 mit dem Titel »Fakten und Fiktionen« für
eine stärkere Offenheit gegenüber Populärem, wo sich immerhin zwei
Beiträge mit der Real-Life-Soap »Big Brother« auseinander setzten.5 Hier
deutet sich an, dass Populärkultur im Fach zunehmend ernst genommen
wird.
Maßgeblichen Anteil an der wachsenden Akzeptanz von Unterhaltung
in der Medien- und Kommunikationswissenschaft hatten die VertreterInnen
der Cultural Studies. Sie eröffneten einen neuen Blick auf populäre
Medieninhalte, auf Nutzungsverhalten und damit auch auf die Rezipierenden
von Unterhaltung. Dabei legen die Cultural Studies spezifische
Kriterien an Populäres an: In ihren Arbeiten werden die Eigenheiten
populärer Texte herausgestellt und gezeigt, dass sie nach anderen Regeln
als nach ästhetischen Vorstellungen organisiert sind.6 Jene ›populären‹
Regeln erforderten einen speziellen Blick, damit man dem Reiz des Populären
gerecht werde (vgl. Fiske 2000a). Finden sich hier die ›Integrierten‹
wieder, von denen Umberto Eco gesprochen hat? John Fiske begründet
seine Beschäftigung mit Populärkultur damit, dass er selbst zur Entspannung
das fesselnde Taschenbuch der hohen Literatur vorgezogen habe:
»So bin ich allmählich darauf gekommen, dass die Kultur, in der die meisten Menschen leben,
die Kultur, die sie beeinflusst, die für sie am wichtigsten ist, mit der sie die meiste Zeit verbringen,
nicht die so genannte Hochkultur ist, sondern Populärkultur, Massenkultur, Alltagskul-
4 | Ein zentraler Beitrag, der erst in der Auseinandersetzung mit der Postmoderne
wieder aufgegriffen wurde, stammte von Leslie Fiedler (1994; ursprünglich
1968). Vgl. auch Zima 1997.
5 | Es fänden sich sicherlich noch weitere Tagungen zu populären Unterhaltungsangeboten,
wie auch die Marler Tage der Medienkultur, am 25./26.10.
2001, die sich mit Quizsendungen beschäftigte und fragte »Quiz-Boom – Bildungsfernsehen
für Millionen?«.
6 | Den Arbeiten der Cultural Studies liegt ein weiter Textbegriff zugrunde,
der auch in dieser Arbeit verwendet werden soll. Danach versteht man unter Texten
»nicht nur Geschriebenes und Gedrucktes, sondern generell jedes kommunikative
Produkt« (Hepp 1999: 109). Fernsehserien oder Quizshows bezeichnen in diesem
Sinne Fernsehtexte oder auch ›populäre Texte‹ (vgl. Fiske 1999b).
Einleitung | 17
tur – wie auch immer man sie nennen will. […] ich kann mich nicht mit etwas beschäftigen,
das mich nicht interessiert, das mir keinen Spaß macht« (Interview mit Fiske in Müller
1993a: 5).
In seiner Aussage schwingt eine Tendenz mit, die über die Position des
Integrierten bei Eco hinausgeht. Ganz offensichtlich wird hier die Bedeutung
von Kultur erweitert: Weg von einem elitären Kulturverständnis, das
sich an ästhetischen Qualitätskriterien orientiert, hin zum alltäglichen
Umgang mit kulturellen Angeboten, hin zum Begriff der Alltagskultur.
Dieser Paradigmenwechsel, teilweise als cultural turn bezeichnet, war
auch in anderen Wissenschaften zu beobachten, beispielsweise in der
Geschichtswissenschaft, die sich nach und nach den Alltagskulturen
zugewandt hat. Zu nennen wäre hier auch die Oral-History-Bewegung
(vgl. Iggers 1993) sowie die Lebensstildiskussion in der Soziologie (vgl.
Hartmann 1999). Die Aufwertung von populärkulturellen Vergnügen, die
den Fokuswechsel in der Wissenschaft begleitete, ging also mit einer
Erweiterung des Kulturbegriffes einher.
Die Aufwertung von Populärkultur bedeutet gleichzeitig die Aufwertung
ihres Publikums. In den Cultural Studies geht man von kontextabhängigen
aktiven Publika aus, was dem Konzept einer ›homogenen Masse‹
ohne individuelles Bewusstsein entgegenläuft (vgl. z.B. Fiske 1999a:
17). Man stellt die Fähigkeit von RezipientInnen heraus, Massenkultur
auch gegen eine ideologisch geprägte Lesart zu nutzen und ›widerständiges
Vergnügen‹ daran zu haben (siehe bspw. Fiske 1989a: 49 ff.). Dies
steht in direktem Gegensatz zu den Überlegungen von Horkheimer und
Adorno. Auch allgemein wird die Hinwendung zur Populärkultur von den
Cultural Studies selbst als bewusster Bruch mit früheren wissenschaftlichen
Ansätzen verstanden:
»Ein Ausgangspunkt für Analytiker von Populärkultur ist folglich, das zu erforschen, was traditionelle
Kritiker in populären Texten ignorieren oder anschwärzen, und sich auf solche Texte
zu konzentrieren, die entweder der gesamten kritischen Aufmerksamkeit entgangen sind oder
nur zur Kenntnis genommen wurden, um diffamiert zu werden« (Fiske 1999b: 69).
An dieser Stelle möchte ich zu der Frage zurückkehren, ob die Aufwertung
von Massenkultur tatsächlich abgeschlossen ist, wie von Maase
vertreten. Die Beispiele aus der Wissenschaft lassen auf eine wachsende
Akzeptanz populärer Unterhaltung schließen. Insbesondere der Blick der
Cultural Studies, der sich explizit auf Alltagskultur und auf populäre
Eigenheiten richtet, weist auf eine Aufwertung von Populärem hin. Allerdings
ist fraglich, inwieweit sich von der Wissenschaft auf die Bewertung
von Populärem im Allgemeinen schließen lässt. So zeigte die Einstellung
der Seminar-TeilnehmerInnen, die anfangs zitiert wurden, dass die Aufwertung
von Populärkultur in einer breiten Öffentlichkeit wohl noch nicht
in dem Maße vollzogen ist. Natürlich reicht die kurze Seminar-Umfrage
nicht als Beleg aus. Inwieweit sich eine Neubewertung von Populärem
18 | Einleitung
außerhalb der Wissenschaft abzeichnet, ist daher unklar. Ob oder auf
welche Weise Maases Beurteilung relativiert werden muss, bleibt also
offen.
Wissenschaftliche Ansätze, wie die neuen Kriterien der Cultural Studies
müssen erst vermittelt werden, um den Weg in eine breitere Öffentlichkeit
zu finden. Wichtige Vermittlungsinstanzen auf diesem Weg sind
die Medien. Um Einblick in die aktuelle Bewertung von Populärem zu
erlangen und zu prüfen, ob sich die Maßstäbe der Cultural Studies bereits
weiterverbreitet haben, kann ein Blick in die Fernsehkritik aufschlussreich
sein. Zum einen befasst sie sich direkt mit der Bewertung populärer
Texte, zum anderen handelt es sich um einen Bereich, der häufig Brücken
zwischen Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit schlägt, was vor allem
in der traditionellen bürgerlichen Kritik der Feuilletons der Fall ist. In
diesem Part der Medienkritik zeigte sich darüber hinaus bisher die Abwertung
von Populärem besonders deutlich. Wenn Maases Aufwertung
von Massenkultur an einer Stelle sichtbar werden sollte, so hier. Fiske
beschreibt die Bewertung von Populärem in der Kritik folgendermaßen:
»Populäre Filme, Romane und TV-Erzählungen wie Soap Operas werden häufig von intellektuell
anspruchsvollen (highbrow) Kritikern falsch beurteilt, die von drei Hauptkomplexen von Gründen
ausgehen: Der erste Komplex von Gründen bezieht sich auf ihre Konventionalität, ihre
Regelmäßigkeit in ihren Entwicklungsmustern und die Bedingungen ihrer Massenproduktion. Ein
anderer Komplex gruppiert sich um Kriterien wie Überflüssigkeit, Sensationsgier, Offensichtlichkeit
und Vorhersagbarkeit, während sich ein dritter mit ihrer leichten Zugänglichkeit, mit
ihrem Mangel an Herausforderung beschäftigt. Gerade diese Qualitäten, die in der ästhetischen
oder kritischen Beurteilung negative sind, sind es aber, die es im Reich des Populären ermöglichen,
dass ein Text angenommen und in der Kultur der Leute verwendet werden kann« (Fiske
2000a: 61).
Hervorgegangen ist die Fernsehkritik aus der Radiokritik, wobei die Wurzeln
beider letztlich in der traditionellen Kunstkritik liegen (vgl. Hickethier
1994). Die Fernsehkritik selbst hat damit zu kämpfen, dass ihr populärer
Gegenstand häufig minderbewertet wird. Denn diese Haltung färbt
auch auf die FernsehkritikerInnen ab, so dass sie gegenüber ihren Kollegen
und Kolleginnen der Literatur- oder Kunstkritik nicht den gleichen
intellektuellen Ruf genießen. In den letzten Jahren konnte allerdings eine
Aufwertung der Fernsehkritik oder auch allgemein der Medienkritik
beobachtet werden, was sich anhand der Etablierung von festen Medienseiten
in großen Tageszeitungen wie der Süddeutschen Zeitung und der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigte. Autoren wie Stefan Niggemeier
oder Edo Reents und Autorinnen wie Cathrin Kahlweit liefern regelmäßig
Beiträge zu neuen Genres, Tendenzen in der Programmgestaltung und
rundfunkpolitischen Fragen.
Ziel dieser Arbeit ist es also, Einblick in die aktuelle Bewertung von
Populärem zu erlangen. Die Forschungsleitende Fragestellung lautet
daher: Zeigen sich in dem Diskurs der Fernsehkritik, wie er sich in der SüdEinleitung
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deutschen Zeitung und der FAZ manifestiert, die Kriterien der Cultural Studies
für die Betrachtung populärer Texte, die eine Aufwertung von Populärkultur
belegen würden?
Forschungsdesign
Diese Frage soll im Rahmen einer qualitativen Untersuchung bearbeitet
werden. Die Arbeit gliedert sich in einen theoretischen Abschnitt und
einen Empirieteil. Der Theorieteil verdeutlicht den spezifischen Blick der
Cultural Studies auf Populäres. Insbesondere stehen die Arbeiten John
Fiskes und sein Verständnis von Populärkultur im Zentrum des Theorieteils.
Fiske hat als Vertreter der Cultural Studies ihre Populärkulturforschung
nachhaltig beeinflusst. Er vertritt in den Cultural Studies nicht die
ethnographische Forschung, sondern steht für den textuellen Blick auf
Unterhaltungsangebote, wobei er sich vor allem mit dem Fernsehen
befasst hat. Bekannt wurde er mit »Television Culture« (1999a; orig.
1987)7, in der er das Fernsehen als wichtigen Knotenpunkt für diskursive
Bedeutungen in der Gesellschaft charakterisiert. Es stellt für ihn einen
›Provokateur‹ von Bedeutungen dar (Fiske 1999a: 1), in dessen Texten
gesellschaftliche Diskurse aufgegriffen werden und der den RezipientInnen
gleichzeitig neue Impulse für ihre Diskurse gibt. Gegenstand von
Fiskes Überlegungen sind unter anderem TV-Serien und Quizshows. An
ihnen macht er verschiedene Merkmale von Populärem wie beispielsweise
den hohen Grad an Intertextualität deutlich. Fiske setzt sich bereits seit
mehreren Jahrzehnten mit populären Texten und ihren Eigenheiten
auseinander.8 Dabei versucht er die Unterhaltungsangebote und ihre
Funktion im Rahmen von gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu
bestimmen.9 Insbesondere das Anfang der Neunziger erschienene Buch
»Power Plays Power Works« (1993a) liefert hierzu einen Beitrag. In seinem
letztveröffentlichten Buch »Media Matters« (1996; orig. 1994) verändert
Fiske seine Perspektive auf Populäres. Dort wendet er sich ver-
7 | Im Folgenden wird nur auf einzelne Werke Fiskes hingewiesen, die seinen
Fokus besonders deutlich machen.
8 | Vgl. bspw. Fiske 1989a und 1989b. Schon 1978 hatte er sich in »Reading
Television« (gemeinsam mit John Hartley) mit Lesarten beschäftigt. 1987 analysierte
er mit Bob Hodge und Graeme Turner in »Myths of Oz« (1987) australische Alltagskultur.
9 | Zentral bei Fiske sind widerständige Bedeutungen und das widerständige
Vergnügen, das er bei den Publika ausmacht. Fiske siedelt allerdings die Möglichkeiten,
sich gegen dominante Bedeutungen und herrschende gesellschaftliche
Gruppierungen zur Wehr zu setzen, auf der mikropolitischen Ebene an – Populärkultur
eignet sich also nicht zum ›Revolutionsführer‹. Dadurch offenbart Fiske
jedoch die alltäglichen Strategien, sich in den alltäglichen Machträumen zu behaupten.
20 | Einleitung
schiedenen Medienereignissen in den USA zu, um an ihnen den Fluss
diskursiver Bedeutungen zu demonstrieren. Fiske führt seinen LeserInnen
vor, wie facettenreich Populärkultur ist und welche bedeutsame Rolle
Fernsehtexten in der Aushandlung gesellschaftlicher Werte und Bedeutungen
zukommt. Der Abschnitt zu Fiskes Diskursbegriff und seine
Diskursanalysen leitet den Übergang vom Theorie- zum Empirieteil ein,
da die empirische Auswertung der Fernsehkritiken an Fiskes diskursanalytische
Überlegungen anknüpft.
Wenn man allgemein der Bewertung von Populärem in der Fernsehkritik
nachgehen möchte, stößt man zunächst auf eine Grauzone, da im
Einzelnen unklar ist, welche Kriterien die Fernsehkritik bei der Bewertung
von populären Angeboten anlegt. In der Forschung existieren nur
wenige Untersuchungen zur Urteilsbildung der Medienkritik.10 Eine der
neueren Arbeiten stammt von Klippel. Die Autorin wertete 137 Fernsehkritiken
zu 109 amerikanischen Serien aus, die von 1960 bis 1990 in den
Fachpublikationen Funk-Korrespondenz und epd/Kirche und Rundfunk
erschienen (vgl. Klippel 1992: 225). Sie kommt dabei zu dem Schluss,
dass die Serien und ihr Publikum vorwiegend abgewertet würden und
dass die Urteile der Fernsehkritik nach bestimmten Mustern verliefen
(ebd.: 233). Leider stellt sie zu wenig auf die Methode ihrer Untersuchung
ab. Von 1983 – noch bevor das Privatfernsehen in Deutschland auf Sendung
ging – stammt die Arbeit von Waldmann (1983). Er führte eine
Umfrage bei FernsehkritikerInnen durch, die für Tageszeitungen schrie-
ben.11 Waldmanns Untersuchung ergab, dass die Kriterien je nach Programmsparte
stark differierten. Bei »Show- und Quizsendungen« rangierte
die »Unterhaltsamkeit« an erster Stelle, gefolgt von der »Originalität«
und der »Ausstattung«. Dagegen standen nach den Angaben der Befragten
bei »Anspruchsvollen Fernsehspielen und Spielfilmen« die »Leistung
der Schauspieler« im Vordergrund sowie die »Kameraführung und Bildregie
« oder auch die »Ansprüche des Autors« (vgl. Waldmann 1983: 83).
Bei »Kriminalfilmen und Abenteuerserien« achteten danach immerhin 15
Prozent auf die »Sendezeit« (ebd.). Die Untersuchung gab einen Einblick
darüber, welche Momente FernsehkritikerInnen bei bestimmten Sendungen
besonders hervorheben. Wie die Bewertungen von Populärem tatsächlich
verlaufen und welche Argumentationslinien dabei wesentlich
10 | Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren entstanden Arbeiten
zur Fernsehkritik, die inhaltsanalytisch geprägt waren. Vgl. beispielsweise Krieg
1959; Schulz 1968; Schulz 1973; Waldmann 1979. In den Untersuchungen von
Krieg und Schulz wurden Fernsehkritiken inhaltsanalytisch untersucht und im
Wesentlichen erfasst, ob die Beurteilung positiv oder negativ ausfiel. Ziel der frühen
Arbeiten war es, überhaupt zu bestimmen, was Fernsehkritik ist, wo sie erscheint
und wer sie schreibt.
11 | Insgesamt befragte er 117 KritikerInnen. Dabei mussten die Befragten
unter anderem aus einer Liste mit 22 möglichen Kriterien diejenigen auswählen,
die sie ihrer Ansicht nach an unterschiedliche Programmformen anlegten.
Einleitung | 21
sein können, lassen sich daraus nicht ableiten. Hier ist Klärungsbedarf
gegeben, wozu die diskursanalytische Analyse dieser Arbeit beitragen will.
Für die empirische Untersuchung dieser Arbeit wurden Kritiken der
Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgewählt,
die über renommierte Feuilletons verfügen und daher für die Bewertung
von populärer Kultur eine wichtige Rolle spielen. Beide Zeitungen sind
traditionell einer bürgerlichen Leserschaft verpflichtet – wie oben erwähnt,
liegt der Untersuchung damit ein spezifischer Ausschnitt der
Fernsehkritik zugrunde. Die Wertungen der Kritik wurden anhand von
zwei Beispielen untersucht, wobei zwei besonders beliebte Fernsehtexte
ausgewählt wurden: Zum einen stand die erfolgreichste deutsche Seifenoper
»Gute Zeiten, schlechte Zeiten« im Mittelpunkt und zum anderen
die Quizsendung »Wer wird Millionär?«, die mit ihren zweistelligen
Millionenquoten Ende der neunziger Jahre einen Quizboom im deutschen
Fernsehen auslöste. Beide Formate werden von RTL gesendet.
Methodisch wird in der empirischen Analyse Fiskes Diskursbegriff
übernommen. Fiskes Überlegungen werden mit dem Verfahren des
offenen Kodierens (vgl. Flick 1999) verbunden, bei dem Textstellen kodiert
und Kategorien gebildet werden. Mit Hilfe der Kategorienbildung
werden Argumentationen aus den Kritiken herausgearbeitet. Auf diese
Weise ist es möglich, die Bewertung beider Sendungen detailliert darzustellen.
Die Kritik zu »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« sowie die Beiträge
zu »Wer wird Millionär?« werden jeweils als Diskursstrang verstanden,
die Teile des übergeordneten Diskurses der Fernsehkritik um populäre
Fernsehtexte darstellen. Dementsprechend wird im Empirieteil zunächst
die Bewertung von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« als Diskursstrang
präsentiert, woran sich die Kritik an »Wer wird Millionär?« in gleicher
Weise anschließt. Bei der Analyse werden zudem in die Bewertung einfließende
Diskurse berücksichtigt und im Anschluss an die Präsentation
der Diskursstränge jeweils erläutert.
Ziel dieser Arbeit ist es also zum einen, die Kriterien, die im Diskurs
der Cultural Studies an Populäres angelegt werden, noch einmal herauszuarbeiten
und im Anschluss zu prüfen, inwieweit im Diskurs der bürgerlich
verhafteten Fernsehkritik abweichend oder ähnlich argumentiert
wird. Zeigt sich darin die vollständige Aufwertung von Populärem, wie
Maase vorgibt? Zum anderen wird aus Fiskes diskursanalytischem Ansatz
ein Analyseverfahren abgeleitet und fortentwickelt. Die Kombination von
Diskursanalyse und offenem Kodieren in dieser Arbeit stellt einen weiteren
Beitrag zu dem Bemühen dar, hermeneutische Verfahren sozialwissenschaftlich
zu fundieren. Die Untersuchung schließt sich damit an eine
Entwicklung an, die seit einigen Jahren in der Wissenschaft zu beobachten
ist (vgl. z.B. Jäger 1999).