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Handbuch schulische Sonderpädagogik
Handbuch schulische Sonderpädagogik




Günther Opp, Georg Theunissen (Hrsg.)

UTB , Klinkhardt
EAN: 9783825284268 (ISBN: 3-8252-8426-3)
592 Seiten, hardcover, 18 x 25cm, 2009, 11 Abb., 23 Tab.

EUR 37,90
alle Angaben ohne Gewähr

Umschlagtext
Das Handbuch gibt einen Überblick über die Schulische Sonderpädagogik in ihren aktuellen Entwicklungstendenzen.

Teil I widmet sich Grundlagen wie historischen Aspekten, der Integration und Inklusion, ethischen Überlegungen, Armutsfragen, der Profession.

Teil II umfasst die zentralen Handlungsfelder und beschreibt die Fachrichtungen hinsichtlich der Terminologie, des Assessments, der vorschulischen Bildung und Erziehung sowie des Unterrichts in Förder- und Allgemeinen Schulen.

Teil III behandelt Fragestellungen wie Schulkultur, Elternarbeit, Gewaltprävention, Schulverweigerung.

Teil IV zeichnet Perspektiven schulischer Sonderpädagogik

zu Empowerment, Positiver Peerkultur, nachschulischer Inklusion, Gender und Migration.

Der Band richtet sich an pädagogische und therapeutische Berufsgruppen, die an der Erziehung, Bildung oder Förderung der Schülerinnen und Schüler beteiligt sind, zudem an Lehrkräfte in Allgemeinen Schulen, schulpsychologische Dienste, Schulsozialarbeiter, Erziehungswissenschaftler und insbesondere Studierende der verschiedenen Lehrämter.
Rezension
Der Band bündelt das aktuelle Wissen zur schulischen Sonderpädagogik und damit über die Pädagogik und Psychologie für Kinder und Jugendliche in besonderen Lebenslagen. Damit ist er nicht nur für Sonderpädagog/inn/en und Lehrkräfte in Förderschulen grundlegend relevant, sondern auch für in sonderpädagogischen Arbeitsfeldern tätige Psychologen, Therapeuten und Sozialarbeitern. In vier grundsätzlichen Teilen wird in mehr als 90 ebenso kompakten wie kompetent und gut lesbar verfassten Artikeln das gesamte Gebiet schulischer Sonderpädagogik ausgeleuchtet: Teil 1 widmet sich Grundlagen wie historischen Aspekten, der Integration und Inklusion, ethischen Überlegungen, Armutsfragen, der Profession, Teil 2 umfasst die zentralen Handlungsfelder und beschreibt die Fachrichtungen hinsichtlich der Terminologie, des Assessments, der vorschulischen Bildung und Erziehung sowie des Unterrichts in Förder- und Allgemeinen Schulen, Teil 3 behandelt Fragestellungen wie Schulkultur, Elternarbeit, Gewaltprävention, Schulverweigerung, Teil 4 zeichnet Perspektiven schulischer Sonderpädagogik zu Empowerment, Positiver Peerkultur, nachschulischer Inklusion, Gender und Migration. Traditionelles wie Zukunftsweisendes werden überschaubar und diadktisch gelungen aufbereitet dargestellt. Fazit: Ein Grundlagenwerk!

Oliver Neumann, lehrerbibliothek.de
Inhaltsverzeichnis
Einleitung

Schulische Sonderpädagogik: Chancen, Grenzen und Dilemmata 11

Grundlagen

1 Geschichte der schulischen Sonderpädagogik im 19. und 20. Jahrhundert 21
Sieglind Ellger-Rüttgart
2 Integration und Inklusion als Leitbegriffe der schulischen Sonderpädagogik 29
Ines Boban und Andreas Hinz
3 Kindheit und Jugend in der Moderne 36
Heinz-Hermann Krüger
4 Bildung 44
Alfred Schäfer
5 Schulische Sonderpädagogik im internationalen Raum54
Ines Boban und Andreas Hinz
6 Anthropologische und ethische Grundlagen schulischer Sonderpädagogik 60
Otto Speck
7 Erfahrung als Grundlage kindlicher Entwicklung 66
Gerald Hüther
8 Moderne didaktische Handlungs- und Unterrichtskonzepte 73
Hartmut Wenzel
9 Armut und soziale Benachteiligung:
Bedingungen einer kontextorientierten Sonderpädagogik 85
Hans Weiß
10 Sonderpädagogische Profession und Professionstheorie 92
Andrea Dlugosch und Helmut Reiser

Handlungsfelder der schulischen Sonderpädagogik

1 Geistige, physische und sensorische Behinderung

1.1 Geistige Behinderung – intellektuelle Beeinträchtigungen

11 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen, Prävalenz101
Georg Theunissen und Wolfram Kulig
12 Assessment 105
Annette Britting und Melitta Stichling
13 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 110
Maria Kron
14 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 115
Erhard Fischer
15 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 120
Wolfram Kulig
16 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 125
Erhard Fischer
17 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 129
Georg Theunissen

1.2 Körperbehinderung

18 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen und Prävalenz 133
Annett Thiele
19 Assessment 138
Hilla Iskenius-Emmler
20 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 141
Hans Weiß
21 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 145
Annett Thiele
22 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 149
Annett Thiele
23 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 153
Annett Thiele
24 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 157
Annett Thiele

1.3 Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit

25 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen und Prävalenz 162
Annette Leonhardt
26 Assessment 167
Gottfried Diller
27 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 173
Ursula Horsch
28 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 177
Klaus-Dietrich Große
29 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 181
Annette Leonhardt
30 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 185
Thomas Kaul
31 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 188
Jürgen Wessel

1.4 Sehbehinderung und Blindheit

32 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen und Prävalenz 193
Friederike Beyer
33 Assessment 197
Renate Walthes
34 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 201
Markus Lang
35 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 206
Markus Lang
36 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 210
Klaus Wißmann
37 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 214
Markus Lang
38 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 219
Klaus Wißmann

2 Gefühls- und Verhaltensstörungen, Sprachstörungen, spezielle Lern- und
Entwicklungsstörungen

2.1 Gefühls- und Verhaltensstörungen

39 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen, Prävalenz227
Günther Opp
40 Assessment 231
Michael Fingerle
41 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 235
Clemens Hillenbrand und Annika Schell
42 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 239
Nicola Unger
43 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 243
Ines Budnik
44 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 246
Roland Stein
45 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 252
Thomas Hennemann

2.2 Sprachstörungen

46 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen, Prävalenz258
Stephan Baumgartner
47 Assessment 265
Kartin Otto
48 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 269
Katrin Otto
49 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 273
Tatjana Kolberg
50 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 278
Tatjana Kolberg
51 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 282
Franziska Schlamp-Diekmann
52 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 286
Christa Schlenker-Schulte

2.3 Spezielle Lern- und Entwicklungsstörungen unter schulischen Gesichtspunkten

53 Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) 290
Günther Opp
54 Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (Leserechtschreibschwäche/Dyslexie) 295
Ada Sasse
55 Lernschwierigkeiten als Folge didaktischer und diagnostischer Insuffi zienzen
heutigen Rechenunterrichts 302
Dorothea Waniek
56 Autismus 312
Georg Theunissen und Melitta Stichling
57 Affektive Störungen 320
Franz-Petermann und Ulrike Petermann
58 Essstörungen 327
Brunna Tuschen-Caffier und Monika Trentowska

3 Lernbehinderung, soziale Benachteiligung und Migrationshintergrund

59 Begriffsdiskussion, Erscheinungsformen und Prävalenz 339
Ute Geiling und Georg Theunissen
60 Assessment 344
Rainer Benkmann
61 Erziehung und Bildung im Vorschulbereich 348
Hans Weiß
62 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Förderschule 352
Ute Geiling und Sabine Karge
63 Erziehung und Bildung im Grundschulbereich
Allgemeine Schule 356
Irmtraud Schnell
64 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Förderschule 361
Ute Geiling
65 Erziehung und Bildung im Sekundarbereich
Allgemeine Schule 365
Irmtraud Schnell

Spezielle Fragestellungen schulischer Sonderpädagogik

1 Schule, Unterricht und Schulentwicklung

66 Schulkultur 373
Günther Opp
67 Schulsozialarbeit 379
Nadja Kulig
68 Evaluation 389
Günther Opp
69 Neue Medien im Unterricht bei Kindern mit Lernbeeinträchtigungen 396
Jessica M. Löser, Rolf Werning und Ina Rust
70 Unterricht in psychiatrischen Klinikschulen 404
Martina Hoanzl, Werner Baur, Werner Bleher, Ramona Thümmler und Christoph Käppler
71 Unterricht in Krankenhäusern 412
Annett Thiele

2 Prävention

72 Gewaltprävention 421
Wilfried Schubarth und Wolfgang Melzer
73 Gesundheitsförderung 428
Klaus Hurrelmann
74 Suchtprävention 436
Sylvia Helbig-Lang und Franz Petermann
75 Prävention von Lern- und Schulverweigerung 444
Kirsten Puhr
3 Beratung
76 Beratung im schulischen Kontext 455
Ines Budnik
77 Elternarbeit 463
Karl-Theodor Stiller
78 Lehrer-Kooperation 470
Marc Willmann

4 Intervention und Handlungskonzepte

79 Pädagogisch-therapeutische Ansätze 481
Ines Budnik und Georg Theunissen
80 Konfl iktmediation 487
Jana Teichmann
81 Unterstützte Kommunikation 495
Jens Boenisch
82 Positive Verhaltensunterstützung 505
Georg Theunissen
83 Soziale Kompetenztrainingsprogramme 513
Herbert Scheithauer und Antonia Gottschalk
84 Ästhetische Erziehung – sonderpädagogisch refl ektiert 520
Georg Theunissen
Perspektiven der Sonderpädagogik im 21. Jahrhundert
85 Empowerment im Zeichen schulischer Sonderpädagogik 531
Georg Theunissen und Wolfram Kulig
86 Positive Peerkultur 538
Günther Opp
87 Jungen – Verlierer im modernen Bildungssystem?546
Ulf Preuss-Lausitz
88 Mädchen, Mythen, Masculinities und die zweigeschlechtliche Ordnung 554
Isabell Diehm
89 Migrationsfragen 561
Winfried Kronig
90 Perspektiven einer gesunden Schule 567
Cornelia Hähne, Nelly Schmechtig und Wolfgang Melzer
91 Perspektiven nachschulischer Inklusion 576
Kirsten Puhr

Nachwort

Ein Blick in die Zunkunft: Perspektiven schulischer Sonderpädagogik 585

Autorinnen und Autoren 591


Leseprobe:
Einleitung
Schulische Sonderpädagogik:
Chancen, Grenzen und Dilemmata
Nach zweihundert Jahren Wechselspiel zwischen Ideen und Reformen mag man
sich fragen, ob die Ideen die Reformen motivieren oder die Reformen die Ideen.
Die Frage wird kaum zu entscheiden sein. (Niklas Luhmann: Das Erziehungssystem
der Gesellschaft. Frankfurt 2002, 180)
Im 19. Jahrhundert wurde das Recht auf Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen
durchgesetzt. Argumentiert wurde einerseits mit Erziehungserfolgen, die einige
Pädagogen und sogenannte Volksärzte mit gehörlosen, blinden, körperlich und intellektuell
behinderten Kindern erzielt hatten, andererseits aber auch mit der gesellschaftlichen Brauchbarkeit
(Arbeitsfähigkeit) von behinderten Menschen.
Nichtsdestotrotz ging mit dieser Entwicklung immer noch die Vorstellung religiös-moralischer
Seelenrettung durch Erziehung einher. Zudem galt es als ein, durch die sich damals etablierende
Psychiatrie beförderter, Fortschritt, zwischen verschiedenen Behinderungskategorien zu unterscheiden,
eine Einteilung in unterschiedliche Schweregrade und Klassifi zierungen vorzunehmen
sowie die Differenz der Erziehungsbedürfnisse behinderter Menschen und ihre menschliche
Besonderheit zu betonen.
Eine Folge dieses Denkmusters war es, die Erziehung von Menschen mit Behinderungen vor
allem in gesonderten Institutionen wie Schulen und Behindertenanstalten zu verfolgen. Aber
spätestens im ausgehenden 19. Jahrhundert, nachdem eine Vielzahl von Hilfsschulen und
Behindertenanstalten entstanden war, wurde zunehmend die Frage nach den Möglichkeiten
gemeinsamer Erziehung von behinderten und nicht behinderten Schülerinnen und Schülern
gestellt. Der Widerspruch zwischen Sonderung und Integration ist bis heute der zentrale Reformimpuls
sonderpädagogischer Theorie und Praxis.
Die sonderpädagogische Diskussion bewegte sich seinerzeit in wechselnden argumentativen
Szenerien, derer sich Repräsentanten der Sonderpädagogik und Behindertenhilfe für die Zwecke
der öffentlichen Selbstdarstellung und Ressourceneinwerbung bis heute außerordentlich erfolgreich
bedienten. Ging es um Fragen der Ressourcenausweitung, dann konnte man Behinderung
im Sinne des Besonderen und des Unterscheidenden inszenieren und dadurch die Möglichkeiten
der Erziehung ausleuchten. Im gleichen Zug konnten das Recht auf Erziehung für Kinder
und Jugendliche mit Behinderungen durchgesetzt und eine professionelle und institutionelle
Expansion legitimiert werden. Es erschien im Rahmen dieses Denkansatzes konsequent, die
besonderen Lernbedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in Sondereinrichtungen und
durch speziell ausgebildete Lehrer zu beantworten.
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Dieses fachliche und politische Argumentationsmuster erwies sich als so erfolgreich, dass man
im Rückblick und im Vergleich mit der internationalen Fachdiskussion in den 1970er Jahren
geradezu erstaunt war über die segregativen Folgen des eigenen sonderpädagogischen Erfolgs.
Überrascht waren sonderpädagogische Profession und Disziplin auch davon, dass die Adressaten
ihrer Arbeit Kritik übten, die Isolation in goldenen Käfi gen (Sondereinrichtungen) anprangerten
und neue fl exible Hilfeformen einforderten, die mehr Selbstbestimmung und Integration
ermöglichen sollten.
Im schulischen Bereich wurden vor allem Eltern behinderter Kinder, die integrative Kindergärten
oder Tageseinrichtungen besucht hatten, aktiv. Sie forderten die Schulen und Schulverwaltungen
auf, integrative Angebote für ihre Kinder zu entwickeln. Daraus entwickelte sich eine
rhetorisch starke Integrationsbewegung, die auf internationale Integrationserfahrungen unter
anderem in Skandinavien, den Vereinigten Staaten von Amerika, England und Italien verweisen
konnte.
Das Argumentationsmuster der Gleichheit, mit dem die Bildungsrechte von Menschen mit Behinderungen
durchgesetzt wurden, rückte nunmehr als normative Zielvorgabe im Sinne des Gemeinsamen
aller Kinder in den Argumentationsvordergrund. Das Besondere einer Behinderung
wurde in Form individueller Erziehungsbedürfnisse und der damit verbundenen pädagogischen
Hilfeoptionen und Ressourcen verhandelt. Die Verwendung von Behinderungskategorien wurde
dabei auch angesichts kategorialer Überschneidung obsolet. Über die Möglichkeiten einer
nonkategorialen Integrationspädagogik wurde diskutiert.
Ein Kernproblem dieser Entwicklung war die Befürchtung, dass im Rahmen einer Dekategorisierung
sonderpädagogischer Leistungen die rechtlich-kategorialen Hilfeansprüche aufgegeben
werden könnten. Im Rahmen der konditionalen Fundierung des deutschen Sozialsystems
werden Hilfen ausgelöst und fi nanziert, wenn eine vorab defi nierte Kondition, also zum Beispiel
eine klassifi zierte Behinderung, vorliegt. Die Aufgabe solcher Klassifi kationen könnte den
Rechtsanspruch auf Hilfe zugunsten einer zwar fl exiblen, aber letztlich doch vagen Bedarfsfi -
nanzierung ersetzen, der man in Zeiten der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht so
recht trauen mochte.
Letztlich konnten die sonderpädagogische Disziplin und Profession diese Entwicklung nach
anfänglich hitzigen Diskussionen erneut im Sinne eigener professioneller und institutioneller
Expansionsinteressen nützen und zwar Hand in Hand mit den Eigeninteressen der Allgemeinen
Schule. Für die Allgemeinen Schulen war die Integrationsforderung eine durchaus vielversprechende
Chance, ihre pädagogischen Ressourcen zu erweitern. Allerdings dachten sie dabei
vor allem an zusätzliche pädagogische Hilfeangebote für Problemschüler, mit denen sie ohnehin
konfrontiert waren, während die Eltern behinderter Kinder und Sonderpädagogen vor allem
Schülerinnen und Schüler im Blick hatten, die erfolgreich eine integrative Vorschuleinrichtung
durchlaufen hatten oder bereits eine Sonderschule besuchten.
Die frühen Integrationsmodelle, die dieser Bewegung entsprangen, gingen in der Regel davon
aus, dass den besonderen schulischen Lernbedürfnissen von Kindern mit Behinderungen
durch zusätzliche Ressourcen, die sich nach dem Schweregrad der individuellen Behinderung
bemaßen, entsprochen werden sollte. Diese Vorstellung basierte auf einem sonderpädagogischen
Individualisierungskonzept, das die sonderpädagogische Praxis in den letzten Dekaden geprägt
hat. Die pädagogisches Handeln konstituierende Unsicherheit über die Wirkungen pädagogischer
Interventionen, – das pädagogische Technologieproblem – hatte man dadurch zu lösen versucht,
dass die individuellen Fördermaßnahmen (individueller Förderplan) auf der Grundlage
möglichst umfassender diagnostischer Erkenntnisse (Förderdiagnostik) geplant wurden. Nach
außen und innen konnten damit mehr oder weniger der Eindruck einer logischen Relation
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zwischen individuellen Förderbedürfnissen und individuellem Förderplan erweckt, respektive
die entsprechenden Effekte und ihre Kontrollierbarkeit suggeriert werden. Das führte zu häufi g
detaillierten Defi zitbeschreibungen, in denen das betroffene Subjekt in seiner Ganzheit, seinen
sozialen Einbindungen und seinem sozialen Sinn verloren ging. Die Möglichkeiten einer auf
spezifi zierte Ziele hin ausgelegten Förderung blieben genauso fraglich wie ihre Kontrolle. Man
versuchte, die pädagogischen Folgeprobleme gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse mehr
oder weniger durch die Individualisierung von Förderangeboten zu lösen.
Dabei geriet auch in sonderpädagogischen Kontexten zumindest teilweise aus dem Blick, dass
der schulische Alltag ein kollektiver Prozess ist, in dem grundlegende Bedürfnisse nach Gemeinschaft,
Zugehörigkeit, Partizipation, Kooperation, Respekt und Anerkennung zwischen
den Kindern, den Lehrern, zwischen Lehrern und Kindern sowie Lehrern und Eltern immer
wieder neu ausgehandelt werden müssen.
Die Abstraktion individueller Lernbedürfnisse (Defi zite) und ihrer pädagogischen Entsprechungen
markiert nur einen Aspekt schulischen Lebens. Es geht vielmehr um umfassendere
pädagogische Zielsetzungen, nämlich die Schaffung von schulischen Kulturen, in denen sich
Kooperation entwickeln kann. Die Kultur des Zusammenlebens der Schülerinnen und Schüler
miteinander hat dabei für einen gelingenden schulischen Alltag den gleichen Stellenwert wie die
Peerkultur eines Lehrerkollegiums.
Dabei ist nicht zu übersehen, dass die schulischen Selektionspraktiken kontra verlaufen zu einer
immer stärker werdenden Integrations- und Inklusionsdebatte. Denn trotz des signifi kanten
Ausbaus mobiler sonderpädagogischer Angebote ist mit deutlichen Unterschieden in den einzelnen
Bundesländern die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Sonderschulen besuchen,
in den letzten Dekaden angestiegen. Wir beobachten in den letzten Jahren einen doppelten
sonderpädagogischen Expansionsprozess. Während die integrativen und mobilen sonderpädagogischen
Dienste in einigen Bundesländern deutlich ausgebaut wurden, wächst gleichzeitig die
Population der Schülerinnen und Schüler, die Sonder- oder Förderschulen besuchen.
Immer mehr Schulen fühlen sich von den pädagogischen Folgeproblemen gesellschaftlicher
Modernisierungsprozesse, vor allem durch die in den letzten Jahren massiv angewachsenen Armutsprobleme,
überfordert. Traditionelle familiäre Lebensformen lösen sich auf und fi nden nur
teilweise funktionierenden Ersatz. Vor allem auch alleinerziehende Mütter fühlen sich überfordert.
Auf Seiten sozial belasteter und benachteiligter Jugendlicher macht die Anstrengung
für schulische Leistungen angesichts der geringen Aussichten auf einen Ausbildungsplatz kaum
noch Sinn.
Ressourcenarme Schulen, nicht selten im Umfeld sozialer Brennpunkte oder in sozial belasteten
Sozialräumen gelegen, kapitulieren zusehends gegenüber den individuellen Erziehungsbedürfnissen
ihrer Problemschülerinnen und -schüler. Nicht wenige Schulen resignieren angesichts
des Ausmaßes an Erziehungsproblemen, von denen sie überschwemmt werden, und angesichts
der Aussichtslosigkeit und Chancenlosigkeit, mit der die Jugendlichen konfrontiert sind. Dies
befördert den Wunsch, massiv störende Schülerinnen und Schüler an andere Schulen und insbesondere
an Sonder- oder Förderschulen abzugeben. Dabei ist es oft weniger der schulische
Erfolg, der den Besuch von Sonderschulen rechtfertigt, sondern vor allem der starke Wunsch
der Allgemeinen Schulen, sich von ihren Problempopulationen zu trennen, um ihrem jeweiligen
Bildungsauftrag besser entsprechen zu können.
Dies ist ein durchaus konfl ikthaftes Zusammenwirken. Während sich die Regelschule von ihren
Problemfällen befreit, wird die aufnehmende Sonderschule zur Selektionsanstalt. Die Integrationsziele,
die die sonderpädagogische Propaganda verkündet, werden in der Regel nicht erreicht
und die schulische Sonderpädagogik macht sich damit selbst unglaubwürdig.
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Im Begriff der Inklusion wurden diese Erfahrungen produktiv weiterverarbeitet. Inklusion zielt
auf ein gemeinsames Lernen und Arbeiten aller Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichsten
Lernbedürfnissen in den Allgemeinen Schulen. Adressat sind nicht nur Kinder mit
Behinderungen oder Auffälligkeiten, sondern nunmehr alle Schülerinnen und Schüler einer
Klasse. Die Unterstützung soll dabei nicht mehr durch zusätzliche behinderungsspezifi sche beziehungsweise
kindbezogene Ressourcenzuweisungen, vor allem für pädagogisch-therapeutische
Hilfen außerhalb des regulären Unterrichts, an die jeweils besuchte Schule abgesichert werden.
Vielmehr geht die Vorstellung der inklusiven Schule von einer Schulqualität und Schulkultur
aus, die allen, auch hoch heterogenen Lernbedürfnissen, entsprechen soll. Zusätzliche Ressourcen
sollen daher insbesondere im Sinne der Weiterentwicklung dieser inklusiven Schulkultur
zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus bräuchten die Schulen freilich auch zusätzliche
pädagogische Handlungsmöglichkeiten und mehr Autonomie, um ihren erweiterten pädagogischen
Aufgabenprofi len entsprechen zu können.
Die deutsche Öffentlichkeit ist nach vielfältig enttäuschenden Ergebnissen der deutschen Schulen
in internationalen Schulvergleichsstudien hoch sensibilisiert bis hysterisch in ihrer Wahrnehmung
der Schulen. Während die deutschen Gymnasiasten im internationalen Vergleich nicht
so leistungsstark sind, wie ein auf das Gymnasium hin organisiertes hochselektives Schulsystem
vermuten lassen müsste, sind es insbesondere die enge Bindung von Schulerfolg und sozialer
Herkunft und die große Gruppe von schulleistungsschwachen Jugendlichen, die als Probleme
der deutschen Schulen ausgemacht wurden. Die berufl iche Ausbildung von über einem Fünftel
der Jugendlichen an deutschen Schulen ist aufgrund schwacher schulischer Leistungen signifi -
kant gefährdet.
Eine immer größer werdende Zahl an Schulen leidet ganz offensichtlich an den Widersprüchen
ihrer gesellschaftlichen Umgebung und insbesondere an der aufgehenden Schere zwischen arm
und reich. Der Widerspruch zwischen politischen Chancengleichheitsforderungen und der pädagogischen
Realität wird durch einen wachsenden Qualifi kations- und Konkurrenzdruck in den
schulischen Umwelten immer schärfer.
Frühe schulische Selektionsprozesse, zum Beispiel der Übergang auf das Gymnasium, werden
von den Kindern und Familien nicht zu Unrecht als Entscheidung über zukünftige Partizipationschancen
verstanden. Die Bedeutung schulischer Platzierungsentscheidung und der Einfl uss
von Schulen reichen in das Familienleben weit hinein und dominieren es in vielen Fällen. Gerade
auch in kind- und bildungsorientierten Familien wächst die Angst der Eltern vor dem schulischen
Scheitern ihrer Kinder. Dies sind Ängste, die von den Kindern sensibel aufgenommen
werden. Der positive und optimistische Wunsch nach einer guten Ausbildung für die Kinder
weicht einer schleichenden Angst vor den Gefahren schulischen Scheiterns.
Eine umfassende, unüberschaubare Ratgeberliteratur spiegelt die Unsicherheit der Eltern in Erziehungsfragen.
Die Angst, etwas falsch zu machen, nimmt deutlich zu. In Fragen von Beziehung
und Erziehung kann man sich nicht mehr auf Intuition verlassen, sondern sucht Sicherheit in
refl exiven Begründungen, die selbst unsicher bleiben und Ambivalenz erzeugen. Vor allem sozial
belastete Familien sind mit diesen refl exiven Herausforderungen der Kindererziehung und den
schulischen Erwartungen, Kinder in ihren schulischen Lernaufgaben zu unterstützen, überfordert.
In vielen Fällen resignieren Eltern vor den Erziehungsaufgaben und -problemen, mit denen
sie konfrontiert sind. Die allgemeinen Schulen fühlen sich andererseits traditionell als Bildungseinrichtungen
und halten Distanz zu den sich ausweitenden Erziehungsbedürfnissen ihrer
Schülerinnen und Schüler. Neu an dieser Situation ist, dass die vorgeschriebenen Schülerrollen
von den Kindern und Jugendlichen nicht mehr einfach übernommen werden. Die Klärung der
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sozialen Verhältnisse im Klassenzimmer ist deshalb vielfach die Voraussetzung dafür geworden,
dass Unterricht überhaupt noch stattfi nden kann.
Das Dilemma schulischer Sonderpädagogik besteht hierbei in der Unüberwindbarkeit der selektiven
Mechanismen von Schule. Konsens fi nden im Prinzip nur selektive Maßnahmen nach
oben. Sonderpädagogische Hilfen markieren dagegen grundsätzlich eine eher negativ konnotierte
Differenz, nämlich die Tatsache, dass ohne zusätzliche Hilfestellungen ein Kind die Lernziele
nicht erreichen würde, die seine Alterskameraden ohne diese Unterstützung erreichen können.
Sonderpädagogische Hilfe ist insofern schon immer ein exkludierender Akt und steht damit
in einem Widerspruch zur Integrationsabsicht des professionellen sonderpädagogischen Handelns.
Für die Sonderpädagogik ist dies eine kaum noch überschaubare Herausforderung. Einerseits
muss sie sich der Gefahr der Selbstverzweckung ihres Systems bewusst werden, wenn sie die
Inszenierung von Selektion unterstützt. Andererseits ist die Gefahr der Deprofessionalisierung
gegeben, wenn sie sich grosso modo verantwortlich machen lässt für die pädagogischen Folgeprobleme
gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse. Das verführerische Versprechen weiterer
Expansion könnte letztlich zu einer Entgrenzung sonderpädagogischer Aufgaben und Verantwortlichkeiten
führen.
Dabei ist die Sonderpädagogik selbst ein heterogenes Feld, das von Hochinzidenzbereichen mit
sozialem Hintergrund (Probleme im Lernen, der Sprache, der emotionalen Verarbeitung und
sozialer Schwächen) über multikausal verursachte Behinderungen bis hin zu biophysisch bedingten
Störungsbildern reicht. Diesbezüglich macht das erste Spektrum die große Mehrzahl
der sonderpädagogischen Population aus, für die nicht nur die Zuweisung zu einem dominanten
Behinderungsbereich kritisch einzuschätzen ist. Allein die Verwendung des Behinderungsbegriffs
für diese Kinder und Jugendlichen ist angesichts der grundsätzlichen Überwindbarkeit
ihrer schulischen Schwierigkeiten höchst fraglich.
Es lassen aber ebenso die Dekategorisierungsbemühungen und insbesondere die Inklusionsdebatte
unschwer erkennen, dass gleichfalls für alle anderen Gruppen der Behinderungsbegriff
in Frage gestellt wird. Die Politik (Kultusministerkonferenz) hat bekanntlich darauf reagiert,
indem sie durch die Bestimmung von Förderschwerpunkten die Behinderungsbegriffe zu umgehen
versuchte. Damit will sie einen prominenten Beitrag zur Entstigmatisierung der Klientel
der Sonderpädagogik leisten. Es bleibt jedoch bei diesem Versuch nicht nur die klassische
Kategorisierung erhalten, sondern letztendlich bilden die bisherigen Behinderungs- oder Störungsbilder
weiterhin den fühlbaren Hintergrund, sodass der Vorwurf eines euphemistischen
Etikettenschwindels nicht von der Hand zu weisen ist. Hinzu kommt, dass in dem einen oder
anderen Fall die Neubestimmung der Begriffl ichkeit zu Irritationen oder erneuten Unklarheiten
geführt hat.
Wenn wir darüber hinaus bedenken, dass der Behinderungsbegriff nach wie vor eine rechtlich
kodifi zierte Bedeutung hat, und zwar nicht nur im deutschen Sozialgesetzbuch, sondern gleichfalls
auf der internationalen Bühne der Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation
oder Europäischen Union, gibt es Argumente, am Begriff der Behinderung der Verständigung
halber festzuhalten. Allerdings ermöglicht die soeben von der Weltgesundheitsorganisation verabschiedete
Internationale Klassifi kation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
(ICF) die klassische Kategorisierung durch die Erfassung von Situationen und die Ermittlung
eines personenbezogenen Unterstützungsbedarfs zu überwinden. Das ist ohne Zweifel ein Fortschritt,
der uns aber momentan noch nicht weiterhilft, wenn ein Handbuch für die Schulische
Sonderpädagogik in Deutschland publiziert werden soll, die nur ein differenziertes, kategori-
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al-fi nanziertes System kennt. Schließlich soll der vorliegende Band nicht nur eine theoretisch
fundierte, sondern zugleich auch praktisch dienliche Hilfe für angehende und praktizierende
Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere für sonderpädagogische Fachkräfte sein, sich auf dem
breiten Feld der Sonderpädagogik besser orientieren zu können. Dieses Ziel hätten wir bei einem
Verzicht auf die Abbildung unseres gegenwärtig gegliederten schulischen Systems verfehlt.
Wir sind uns dieser Problematik bewusst und wissen wohl um die Kritik. Allerdings waren wir
bemüht, nicht in diesem konservativen Fahrwasser gänzlich zu verweilen, sondern mit der Berücksichtung
segregativer, spezialisierter und integrativer und/oder inklusiver Systeme sowie der
Exponierung eines Unterrichts mit sozial belasteten oder benachteiligten Kindern und Jugendlichen
das enge Paradigma schulischer Sonderpädagogik zu überschreiten. Das betrifft ebenso
einige Beiträge jenseits der Sonderpädagogik, deren Wissensbestände jedoch für angehende oder
praktizierende Lehrerinnen und Lehrer von zentraler Bedeutung sein sollten.
Angesichts der Vielfältigkeit der pädagogischen Herausforderungen, der Heterogenität fachlicher
Positionen und der Divergenz der Systeme in einzelnen Bundesländern haben wir lange
überlegt, ob sich der Überblick, den ein Handbuch geben soll, überhaupt herstellen lässt. Die
Probleme beginnen im Titel Handbuch Schulische Sonderpädagogik, für den wir uns entschieden
haben, weil der Begriff der Sonderpädagogik im Unterschied zu Parallelbezeichnungen wie
Heilpädagogik, Behindertenpädagogik oder Rehabilitationspädagogik wohl doch am weitesten
im Bereich der Lehrerausbildung in Deutschland verbreitet ist. Unter Sonderpädagogik verstehen
wir dabei freilich nicht, wie zuvor angedeutet, eine Sonderschulpädagogik. Das wäre ein
Missverständnis und würde unser Anliegen völlig verfehlen. Der Begriff der Heilpädagogik, der
gleichfalls im deutschsprachigen Raum einen sehr hohen Bekanntheitsgrad hat, ist hingegen
stärker im außerschulischen Bereich geläufi g.
Das vorliegende Handbuch soll diesen Überlegungen Rechnung tragen und versucht, die zuvor
anskizzierten Entwicklungen sowie den aktuellen Stand der Diskussion im Bereich der schulischen
Sonderpädagogik aufzuzeigen. Das Themenspektrum ist breit angelegt, um einen umfassenden
Theorie und Praxis bezogenen Überblick zu bieten. Damit hat das Buch zugleich
den Charakter eines Nachschlagewerkes, indem sich Leserinnen und Leser über die wichtigsten
Themen, Entwicklungen, Konzepte und Arbeitsbereiche, welche die schulische Sonderpädagogik
im engeren und weiteren Sinne betreffen, informieren können. Indem ein Verständnis
der Sonderpädagogik als erziehungswissenschaftliches Teilsystem in einem gesellschaftlichen
Kontext zugrunde gelegt wird und nicht eine einzelne sonderpädagogische Disziplin aufbereitet
wird, unterscheidet sich unser Herausgeberband von anderen Handbüchern der Heil- oder
Sonderpädagogik, die ein enger gefasstes Arbeitsgebiet behandeln. Er richtet sich somit an alle
pädagogischen und therapeutischen Berufsgruppen, die an der (unterrichtlichen) Erziehung,
Bildung oder Förderung behinderter, von Behinderung bedrohter, entwicklungs- oder verhaltensgestörter
sowie sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler beteiligt sind, zudem an
Lehrkräfte in Allgemeinen Schulen, schulpsychologische Dienste, Schulsozialarbeiter/innen,
Erziehungswissenschaftler/innen sowie Lehrende und insbesondere auch Studierende der Sonderpädagogik
und für andere Lehrämter.
Unser Handbuch ist systematisch aufgebaut und klar gegliedert: In vier Hauptteilen werden
mit 91 Beiträgen einschlägige Themenbereiche und Arbeitsfelder der schulischen Sonderpädagogik
sowie relevante Nachbargebiete durch etwa 70 federführende Autorinnen und Autoren
bearbeitet:
Teil I befasst sich mit Grundlagen, zum Beispiel mit historischen Aspekten der schulischen
Sonderpädagogik, mit Schlüsselbegriffen wie Bildung, Integration oder Inklusion, mit inter-
Opp/Theunissen (Hg.), Handbuch schulische Sonderpädagogik
ISBN 978-3-8252-8426-8
VERLAG JULIUS KLINKHARDT, BAD HEILBRUNN 2009
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nationalen Entwicklungen, ethischen Überlegungen, neurowissenschaftlichen Erkenntnissen,
didaktischen Fragestellungen und Unterrichtskonzepten, mit Fragen zur Kindheit und Jugend,
zu Armut und sozialer Benachteiligung sowie zur sonderpädagogischen Profession.
Teil II erstreckt sich auf zentrale Handlungsfelder der schulischen Sonderpädagogik, indem
die einzelnen Fachrichtungen wie Geistig-, Körper-, Seh- und Sprachbehindertenpädagogik,
Schwerhörigenpädagogik sowie Verhaltensgestörtenpädagogik im Hinblick auf ihre Fragen zur
Leitterminologie, zum (diagnostischen) Assessment, zur vorschulischen Erziehung und Bildung
sowie zum Unterricht in Förder- und allgemeinen Schulen aufgegriffen werden. Zudem werden
spezielle Lern- und Entwicklungsstörungen (z.B. Aufmerksamkeitsstörung, Leserechtschreibeund
Rechenschwäche, Autismus, affektive Störungen) sowie Aspekte zum Phänomen der Lernbehinderung
und sozialen Benachteiligung unter besonderer Berücksichtigung von Kindern mit
Migrationshintergrund thematisiert. Auch hierbei geht es um Fragen zur Begriffl ichkeit, zum
Assessment sowie zum geeigneten Ort des Lernens und der pädagogischen Unterstützung.
Teil III bezieht sich auf spezielle Fragestellungen, die für die Theorie (-bildung) und Praxis der
schulischen Sonderpädagogik von besonderer Bedeutung sind, so zum Beispiel das Thema der
Schulkultur und Schulentwicklung sowie Fragen zur Elternarbeit, Schulsozialarbeit, Beratung,
Gesundheitsförderung, Gewaltprävention, Schulverweigerung und Intervention, zum Umgang
mit neuen Medien oder auch zum Unterricht in Krankenhausschulen.
Teil IV rundet mit Perspektiven der Schulischen Sonderpädagogik im 21. Jahrhundert das Handbuch
ab. Aufgegriffen und diskutiert werden hierzu so unterschiedliche Themen wie Empowerment
und Schule, Positive Peerkultur, nachschulische Inklusion, Gender- und auch Migrationsfragen.
Alles in allem lässt sich unschwer feststellen, dass neben den sonderpädagogischen Fachdisziplinen,
die der Zugänglichkeit halber in einer einheitlichen Systematik angelegt wurden, allgemeine
pädagogische Themen ebenso wie disziplinübergreifende medizinisch, soziologisch,
psychologisch und therapeutisch relevante Fragen aufgegriffen werden.
Bei den Autorinnen und Autoren handelt es sich um ausgewiesene Expertinnen und Experten,
die zu den jeweils ausgewählten und zugewiesenen Themen intensiv geforscht, theoretisch
oder praktisch gearbeitet haben. Neben renommierten, namhaften Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen
wurden auch junge Forscherinnen oder Nachwuchswissenschaftler wie auch
herausragende Fachleute aus der Praxis berücksichtigt, um dem aktuellen Diskussionsstand,
den Perspektiven für die Zukunft, der Meinungsvielfalt und dem breiten Spektrum von (fach-)
wissenschaftlichen und fachlichen Erkenntnissen und Positionen Rechnung tragen zu können.
Der Einfachheit halber und aus Platzgründen wurde es den einzelnen Autorinnen und Autoren
überlassen, in ihren Beiträgen die männliche und/oder weibliche Schreibweise zu benutzen.
Dort, wo nur eine Schreibweise (z.B. Lehrer) bevorzugt wird, ist auf jeden Fall die andere (z.B.
Lehrerin) stets mitgedacht.
Unser Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, die das Buchprojekt mit exzellenten Beiträgen
unterstützt haben. Ferner möchten wir uns bei Andreas Klinkhardt bedanken, der nicht nur die
Idee für dieses Handbuch hatte, sondern uns auch bei der Konzeptaufbereitung kontinuierlich
unterstützte. Regina Schmitz und Inge Weihmann waren hilfreich bei der Organisation der
Arbeit. Jana Teichmann gebührt großer Dank für die mühevollen Korrekturarbeiten an diesem
Band.
April 2009 Günther Opp, Halle und München
Georg Theunissen, Halle und Freiburg
Opp/Theunissen (Hg.), Handbuch schulische Sonderpädagogik
ISBN 978-3-8252-8426-8
VERLAG JULIUS KLINKHARDT, BAD HEILBRUNN 2009
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Opp/Theunissen (Hg.), Handbuch schulische Sonderpädagogik
ISBN 978-3-8252-8426-8
VERLAG JULIUS KLINKHARDT, BAD HEILBRUNN 2009